Es geht gespenstisch zu im Fine Arts Museum of San Francisco. Eine Frau sitzt auf einer Bank und betrachtet das Gemälde einer Frau, die ihr bis aufs sorgfältig frisierte Haar gleicht – oder ist es umgekehrt? Ein anderes Gemälde bleibt jahrelang unter Verschluss, bis es ein letztes Mal auf Echtheit geprüft wird und daraufhin an einer Wand erscheint – aber ändert das etwas am Bild? Wie fiktiv ist der Mann, der eine Frau im Film „Vertigo“ nach seinen Vorstellungen formt, und wie viel vom realen Regisseur Alfred Hitchcock steckt in ihm? Was macht überhaupt die Authentizität eines Gemäldes aus und was die Identität einer Person? Lynn Hershman Leeson beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit solchen Fragen, und auch mit ihrem jüngsten Projekt „VertiGhost“ nimmt sie sich wieder Ideen an, die in Zeiten von Twitterbots, virtueller Gesichtserkennung und Big Data beängstigend aktuell sind. „VertiGhost“ handelt von den Geistern zweier Bilder, die durchs Museum spuken: das Portrait of Carlotta Valdes, vor dem Kim Novak in einer Schlüsselszene von Hitchcocks „Vertigo“ sitzt, das in Wahrheit aber gar nicht zum Bestand des Museumsgebäudes Legion Of Honor gehört; und Pierre-Edouard Baranowski des Malers Amedeo Modigliani, das erst im De Young Museum hängt, seit seine Echtheit mithilfe komplizierter Methoden überprüft wurde. Hershman Leeson verbindet beide Werke über eine Installation aus einer GoPro-Kamera und einem Bewegungsmelder, die eine gespenstische 3D-Projektion auslösen, und ergänzt es um einen Film, in dem neben Kim Novak auch eine Reihe von Kunstexpertinnen zu Wort kommt. Geklärt ist damit keine der Fragen. Das wäre der Künstlerin auch zu einfach.
„Diese Ideen sind ja nicht neu“, sagt Lynn Hershman Leeson. „Ich beschäftige mich schon immer damit, wie Wissenschaft, Technologie und Kultur unsere Identitäten auf unterschiedliche Arten formen, von der Überwachung bis zum Eingreifen in die DNA. Diese Themen waren in den 50er Jahren aktuell, und sie sind es auch heute.“ Seit den späten 60er Jahren mischt die amerikanische Künstlerin sich in diese Fragengebiete ein. Schon frühe Werke wie ihre Breathing Machine von 1967 verstörten Besucher mit dem überraschenden Einsatz von Technik – der Wachsabguss von Hershman Leesons eigenem Gesicht begann zu ächzen und stöhnen, sobald ein Bewegungssensor Menschen in der Nähe wahrnahm. Bei der Videoinstallation „Deep Contact“ konnte man 1984 eine Figur namens Marion per Touchscreen an verschiedenen Körperstellen berühren und damit die Geschichte steuern – wurde dabei aber selbst beobachtet. 1990 lud „America’s Finest“ dazu ein, an einem Gewehr zum Scharfschützen in einem virtuellen Krieg zu werden – und mit dem Auslösen des Abzugs ein Bild von sich selbst zu treffen, das per Überwachungskamera aufgenommen und ins Szenario übertragen wurde. „Solche Werke waren immer ausdrücklich politisch“, sagt Hershman Leeson. „Sie forderten Veränderung.“
Dabei bekam die Künstlerin immer wieder selbst zu spüren, wie nötig es war, etwas zu ändern. In die Kunstwelt passte sie mit ihren multimedialen Installationen oft nicht hinein und war zeitweise gezwungen, abseits klassischer Museen und Galerien in angemieteten Wohnungen auszustellen. Die Wissenschaftswelt wiederum tat sie trotz ihrer Pionierarbeit als unwissenschaftliche Künstlerin ab. Im Laufe der Zeit hat sie gelernt, damit umzugehen. „Ich mache einfach meine Arbeit, trotz aller Rückschläge und Hindernisse.“ Ihre Rollen als Frau und ihr Feminismus ziehen sich umso unbeirrbarer durch ihr Werk. In den 70er Jahren erschuf sie mit Roberta Breitmore eine Kunstfigur, die als amerikanische Durchschnittsfrau einen eigenen Führerschein und eine eigene Wohnung hatte und völlig unabhängig von der Künstlerin existierte, die sie verkörperte. In Filmen wie „Conceiving Ada“ und „Teknolust“ schickte sie Schauspielerin Tilda Swinton als Wissenschaftlerin durch bizarr bunte Welten. Und sie richtet unermüdlich Überwachungskameras auf die männlichen Blicke der Besucher, die ihre computergenerierten Frauen betrachten. Wenn man sie fragt, ob es Zufall ist, dass im Film „VertiGhost“ ausschließlich Frauen die Bilder der Männer Hitchcock und Modigliani beurteilen und dabei nicht immer rücksichtsvoll vorgehen, dann antwortet sie geschickt nur zur Hälfte:
„Nun ja, die meisten Bilder, die es in den Sammlungen der Museen zu betrachten gibt, sind nun mal von Männern.“
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